Making of Tombestone
ein Blick hinter die Kulissen
Normalerweise erfahre ich Theater aus der Zuschauerperspektive:
Ich kaufe mir eine Karte, führe anregende Gespräche mit anderen Theaterbesuchern und begebe mich dann beim ersten Klingeln gespannt zu meinem Sitzplatz. Das letzte Flüstern verstummt in der Dunkelheit. Der Vorhang gleitet auf, das Stück beginnt. Für kurze Zeit nehmen die Schauspieler mich mit in eine fremde Welt.
So kannte ich Theater bisher.
Nun stehe ich mit der Kamera in der Hand im schmalen, dunklen Gang hinter den Kulissen, manchmal weht der Vorhang zur Seite und ich erhasche einen Blick von der Seite auf die Bühne, beobachte die Menschen auf, hinter, vor und über der Bühne.
Während Schauspieler unten das neu eingerichtete Bühnenbild erkunden, bringen Beleuchter im „Bühnenhimmel“ Scheinwerfer an und ziehen letzte Schrauben fest. Der Bühnenbildner bespricht mit den Bühnentechnikern die Anordnung der Möbel und überprüft die Requisiten. Im Zuschauerraum sind der Regisseur und der musikalische Leiter in ein konzentriertes Gespräch vertieft.
All dies geschieht gleichzeitig. Je länger ich beobachte, desto besser erkenne ich die Ordnung in dem scheinbaren Chaos, verstehe, wie die Arbeit jedes Einzelnen zum Ganzen beiträgt.
Sechs Wochen lang durfte ich die Proben zu „Tombstone“ fotografisch begleiten. Dieses „Making of“ zeigt eine Auswahl meiner Bilder.
Liliana Merlin Frevel
von der Konzeptionsprobe…
… bis zur Premiere
Probebühnenprobe
Auf der Probebühne nehmen das Stück und die Charaktere Form an.
Bei der Konzeptionsprobe fällt der Startschuss: Bühnenbildner und Kostümbildnerin stellen ihre Entwürfe vor, der Regisseur erläutert das Gesamtkonzept. Die Schauspieler lesen zum ersten Mal in verteilten Rollen das Stück. Es herrscht ausgelassene Stimmung und Vorfreude auf die Arbeit der kommenden Wochen.
Es ist spannend, diesen Prozess zu beobachten: Durch die Arbeit der Schauspieler verwandelt sich der Text des Stückes in lebendige Figuren. Immer wieder werden die einzelnen Situationen probiert. Nach und nach finden die Schauspieler die zu den Figuren passende Mimik, Körperhaltung und Stimmlage. Kleine Ticks und Eigenheiten entwickeln sich. Kampftrainer choreografieren die große Saloonschlägerei und bringen den Darstellern den richtigen Umgang mich Schwert und Schusswaffe bei. Selbst das Sterben will geübt sein.
Regie
Egal, in welcher Situation ich fotografiere, einer ist immer da: der Regisseur. Nicht nur bei Proben mit Schauspielern – auch bei der technischen Einrichtung und in der Bandprobe sitzt er und hört zu, nimmt das Geschehen auf, ordnet und hat (meistens) das letzte Wort.
Bei der Bühnenprobe hält es ihn nicht am Regietisch: Er springt auf die Bühne, um Wege mit den Schauspielern abzugehen, den Umgang mit Requisiten zu klären. Erst wenn jedes Detail besprochen ist, nimmt er wieder im Zuschauerraum Platz, beobachtet und analysiert konzentriert das Spiel der Schauspieler, bis er wieder unterbricht und die eben gesehene Szene in neuer Variante probieren lässt.
Erst nach der Generalprobe darf der Regisseur endlich ausschlafen: Ab dem Premierenabend tragen Abendspielleiter, Inspizienten und Techniker die Verantwortung dafür, dass zur Vorstellung alles am richtigen Platz ist und die Schauspieler ihre Figuren jeden Abend von Neuem zum Leben erwecken können.
Bühne
Der Moment der Wahrheit – die technische Einrichtung: Heute wird das originale Bühnenbild zum ersten Mal auf der Bühne aufgebaut, nachdem die Einzelteile in den Werkstätten des Theaters nach den Plänen des Bühnenbildners angefertigt wurden.
Die Bühne wimmelt von Personal: Techniker und Schreiner schleppen Kulissenteile und montieren Wände, der Bühnenmeister koordiniert die Arbeit seines Teams und bespricht mit dem Bühnenbildner und dem Regisseur nötige Anpassungen. Der Akkuschrauber steht niemals still.
Wie auch die Schauspieler bin ich noch an den provisorischen Probebühnennaufbau gewöhnt. Ich folge ihnen auf ihrer Erkundungstour durch den neuen Raum: Sie testen Türen und Treppen, gehen ihre auf der Probebühne eingeübten Wege ab, finden neue Auftrittsmöglichkeiten. Ab jetzt läuft der Premierencountdown: nur noch 10 Tage…
Kostüm
Lange im Vorfeld der Proben entwirft die Kostümbildnerin ihr Konzept für Kostüme und Maske. Die von ihr gezeichneten Figurinen dienen als Vorlage für die Schneiderinnen der Damen- und Herrenschneiderei.
Ich schaue mich in der Schneiderei des Theaters um. Hier hängen bereits die fast fertigen Westernkostüme. Noch wirken sie wie fabrikneu – viel zu clean für die staubige Wüstenatmosphäre von „Tombstone“. Mit Farben und Lacken werden sie so bearbeitet, dass auf den Hemden natürliche, westerntypische Abnutzungs- und Schmutzflecken zu sehen sind. Am speckigen Mantelkragen legt die Kostümbildnerin selbst letzte Hand an.
Maske
Die Maske ist der Ort der Verwandlung. Hier werden Bärte geklebt, Schminke aufgetragen, hier werden aus den Schauspielern dreckige Westernhelden, sogar der Bandleader wird zum Wild-West-Mozart.
Gerade werden einer Schauspielerin die Haare „geschneckelt“: Sie sitzt aufrecht und konzentriert auf ihrem Stuhl. Die Maskenbildnerin nimmt nach und nach ihre Haarsträhnen auf und dreht sie so lange, bis sie sich zu kleinen spiralförmigen Locken an den Kopf legen, wo sie mit kleinen Klämmerchen fixiert werden. Jetzt kann die in tagelanger Feinarbeit speziell angefertigte Perücke aufgesetzt werden.
Hinter den Kulissen
Während einer Aufführung ist hinter der Bühne fast genauso viel los wie vorne im Rampenlicht. Zahlreiche Helfer sorgen dafür, dass das Stück reibungslos ablaufen kann.
Der Inspizient behält die Fäden in der Hand und die Zeit im Auge. Von seinem Pult neben der Bühne aus dirigiert er Bühnentechniker, Beleuchter und Tontechniker, die im richtigen Moment die richtigen Knöpfe drücken, Hebel umlegen und Taue ziehen müssen, damit Bühnenverwandlungen, Lichtwechsel und Schauspielerauftritte genau synchron ablaufen. Falls an einer Schauspielerfrisur oder an einem Kostüm etwas ausgebessert werden muss, sind Maskenbildner und Ankleider vor Ort.
Die Tragik der Arbeit hinter der Bühne: Je sorgfältiger sie erledigt wird, desto weniger ist sie nach außen sichtbar. Bei einer perfekten Aufführung entsteht für den Zuschauer die Illusion einer in sich geschlossenen Welt auf der Bühne, kein Gedanke gilt den vielen fleißigen Menschen dahinter – ihnen sei an dieser Stelle auch ein Applaus gegönnt.
Ich bedanke mich Herzlich für die Zusammenarbeit bei dem Landestheater Coburg